Chirotherapie

Der Verdienst Lewits ist es, dass die Manuelle Medizin bzw. Chirotherapie von der strukturellen Denkweise des „Knochensetzens“ gelöst wurde. Man verstand unter der Chirotherapie das Zurückführen eines Wirbels aus einer Fehlstellung. Auch heute noch hält sich die Meinung, dass ein Wirbel in einer Fehlrotationsstellung steht. Diese Fehlstellung würde durch den manualtherapeutischen Griff beseitigt.

Lewit führte das funktionelle Verständnis ein. Er spricht von einer Störung der Wirbelfunktion. Der Wirbel gilt in seiner Bewegungsfähigkeit eingeschränkt.

Nach dem Studium und seiner klinischen Weiterbildung steht der Arzt in der Praxis Patienten mit Krankheitsbildern gegenüber, die in der Regel nicht mit den bisher erworbenen Kenntnissen zu erfassen bzw. zu beherrschen sind.

Angefangen von der Virchow´schen Organpathologie bis hin zur evidence-based medicine wird lediglich die strukturelle Denkweise gefördert.

Diese hat in der klinischen Medizin selbstverständlich ihre uneingeschränkte Berechtigung. Es genügt jedoch nicht den Anforderungen in der Praxis, dass man als Arzt lediglich als Ingenieur am Menschen ausgebildet wird. Die mechanistische Denkweise führt in der Praxis nur ausnahmsweise zu einer sinnvollen und segensreichen Behandlung.

Dem Arzt bleibt aber der Blick für die Probleme der Patienten in der Praxis verschlossen. Hier hat er es mit Patienten zu tun, die in der Regel nicht im Sinne der Universitätsmedizin als erkrankt verstanden werden können. Aber sie finden mit einem glaubhaften Leidensdruck den Weg in die Sprechstunde. Für das Verständnis ihrer Problematik ist die funktionelle Denkweise hilfreich, notwendig und erforderlich.

Andererseits bestehen im Bereich der Chirotherapie nach wie vor noch Theorien, die Aussenstehenden den Zugang hierzu erschweren oder verbauen.

Viele Anschauungen sollten überprüft und einer wirklichtsnahen Denkweise zugeführt werden.

Wenn in Laienkreisen noch immer eigentlich unhaltbare Theorien und Komplikationen diskutiert werden, ist das bedauerlich genug.

Aber in Expertenkreisen sollte wesentlich energischer ein kritisches Nachdenken einsetzen, um einige unhaltbare Ansichten zu beseitigen.

Um die Manuelle Medizin zu verstehen, ist es unumgänglich die Gedankengänge der Informationstheorie, Kybernetik und Systemtheorie einzubringen. Hierbei gilt es, den Menschen nicht mehr als statisches, sondern als dynamisches System aufzufassen.

Ein Dynamisches System besteht aus

  • Materie
  • Energie
  • Steuerung

Unter Materie versteht man die anatomischen Gegebenheiten, wie Knochen, Bänder, Muskulatur usw. Unter Energie fallen die physiologischen Vorgänge des Stoffwechsel, der Atmung, des Kreislaufs usw.

Während in diesen beiden Kategorien jeder Arzt sich auskennt, ist trotz mancher Bemühung die Steuerung noch nicht in unserem Medizinverständnis verankert. Der Grund hierfür ist vor allem darin zu suchen, dass die funktionellen Probleme eine Domäne der Praxis sind. Im Klinikalltag, in der unsere Ausbildung abläuft, werden nur strukturelle, dementsprechend organpathologische Krankheitsbilder angegangen. Diese sind ihrerseits im Praxisalltag eher die Ausnahme.

Je komplizierter das System, umso höher die Anforderungen im Steuerungs- bzw. Regelungsbereich. Das komplizierteste System ist zweifelsfrei der Mensch, so dass es nicht direkt abwegig erscheint, dass hier die Störanfälligkeit an der Tagesordnung liegt.

Die Steuerung bzw. Regelung kann nur über Informationen bzw. Informationsvermittlung erfolgen, so dass zunächst erst die Grundbegriffe der Informationstheorie bekannt sein sollten.

Zunächst ist wichtig: Information ist Information, nicht Materie und nicht Energie. Unwichtig für die Informationstheorie ist in diesem Moment dagegen der Inhalt der Information. Nicht der Sinn steht im Vordergrund, sondern die Vermittlung, also der Transfer. Um die Information zu vermitteln, wird diese zunächst kodiert und damit transportfähig gemacht. Im menschlichen Organismus wird die Information in einen elektrischen Impuls transformiert, so dass diese schnell weitergereicht werden kann. Am Ende des Transports wird dieser elektrische Impuls wieder in Information dekodiert, um diese verarbeiten zu können.

Durch die Informationsübertragung wird die Steuerung eines Systems wie beispielsweise der menschliche Organismus ermöglicht.

Wird eine Information nach dem 1. Steuerungsabschnitt im Rückenmark fehlerhaft decodiert, kommt es zur Fehlinformation. Die Schmerzen funktioneller Art entstehen dadurch, dass eine durch den Proprioceptor korrekt kodierte Information im Rückenmark fehlerhaft decodiert wird.

Die Decodierung läuft nach dem binären System ab: Es gibt hier nur ein JA oder NEIN. Bei einem Fehler wir die Info Nein statt Ja produziert. So entsteht bei der „Fehldekodierung“ statt der Information „in Ordnung“ die gegenteilige Information „nicht in Ordnung“.

Es wird ein Fehler zur Kenntnis gebracht, der als solcher nicht vorhanden ist Nach dem Ja/Nein – Prinzip des Dualsystems wird statt der Unversehrtheit einer Körperstelle eine Störung gemeldet.

Der Sitz der Störung ist demnach im Hinterhorn des Rückenmarks angesiedelt. Diese Fehldecodierung sollte als „Segmentale Störung“ bezeichnet werden. Die Störungen liegen in der Regel immer vor und können leicht nachgewiesen werden.

Die Auswirkungen zeigen sich in der

  • Haut
  • Muskulatur
  • Gelenke

In der Muskulatur zeigt sich eine Tonusänderung, in der Haut eine Induration bzw. eine Änderung der Berührungsempfindlichkeit und im Gelenk eine Erhöhung des Widerstands im transversalen Gleitvorgang.

Bei der segmentalen Störung handelt es sich um eine Funktionsstörung in der Informationsverarbeitung im Rückenmark.

Bildlich gesprochen, entsteht ein „Knoten“ in der „hakligen“ Software.

Der Mensch ist als dynamisches System aufzufassen. Ein dynamisches System besteht aus Masse, Energie und Steuerung. Die Steuerung erfolgt in den grauen Zellen des Rückenmarks. Die graue Substanz des Rückenmarks beherbergt demnach die „Software“ des Menschen. Diese wird in der Kindheit „aufgespielt“. Durch unsere Zivilisation wird diese nur in bescheidenem Masse aufgebaut. Die eigentliche Ursache der Probleme ist „schlechte“ Software.

Im Gegensatz hierzu stehen die Schäden in der Hardware, die die Domäne der Virchow´schen Organpathologie sind.

Diese Störungen sind regelmässig festzustellen. Sie imponieren als

Veränderungen an der Haut

wie die Einschränkungen, aber auch Erhöhungen der Berührungsempfindlichkeit oder die Kiblerfalte.

Veränderungen an der Muskulatur

wie die Tonusänderungen mit Spannungszunahme an der tonischen bzw. Abnahme bei der phasischen Muskulatur

Veränderungen an den Gelenken sind die Blockierungen, die durch eine erhöhte Kapselspannung den Gleitvorgang behindern.

Diese Störungen spürt der Betroffene nicht.

Zu „Knoten“ in der Software kommt es besonders häufig bei folgenden Anlässen:

  • Klimatischen Einflüsse wie Wetterwechsel, feuchte Kälte, Umstellung in den Jahreszeiten („Ich hab´s vom Wetter“)
  • Bewegungsstillstand („Ich bin heute Nacht falsch gelegen“)
  • Temperaturregelungsvorgänge
  • „traumatische“ Vorgänge („Ich habe mich verhoben“)
  • Stresseinwirkungen.

Die Einwirkungen auf die „Durchschaltschwelle“ sind daher nur der Anlass der Schmerzempfindung. Die Ursache liegt in dem Decodierungsirrtum in der Verschaltung der Information aus der Peripherie im Hinterhorn des Rückenmarks.

Bei der segmentalen Störung werden Schmerzen vermittelt, ohne dass eine Schadensrelevanz vorliegt. Hierdurch wird der Schmerz nicht zum Alarmsignal sondern zum Fehlalarm.

Eine Auftreten oder Verstärken dieser Probleme entsteht häufig durch Bewegungsstillstand, wie langes Liegen, Stehen oder Sitzen. Dies führt dazu, dass sich Ansichten verbreiten, dass man „falsch“ gesessen oder nachts „falsch“ gelegen habe.

Hier gilt es darauf zu achten, dass Ursache und Wirkung erkannt, aber nicht verwechselt werden.

Bekannt ist, dass Schmerzen an Körperteilen angegeben werden, die nicht mehr vorhanden sind. Diese werden als Phantomschmerzen bezeichnet. Erklärbar werden sie durch die segmentale Störung, die in den Schmerz gekippt ist. Es erfolgt eine Schaltung mit der Information, dass beispielsweise an der Ferse ein Schaden vorliegt. Dies führt zur Schmerzbeantwortung, auch wenn die Ferse nach einer Beinamputation o. a. nicht mehr vorhanden ist.

Die immer geforderte funktionelle Zuordnung ist weitgehend sinnfrei. Ob in die gesperrte oder freie Richtung deblockiert wird, spielt keine Rolle.

In der Praxis bewährt hat sich bei uns, in einer Sitzung in beide Richtungen zu deblockieren.